KARATE-DO: Anmerkungen zum Training


KARATE-DO: Anmerkungen zum Training

 Dieser Artikel stellt einige Überlegungen darüber an, wie das Karate-dô, oder jede andere traditionelle Budô-Kunst, ausgeführt werden sollte. Darüber hinaus ist es dem Autor dieses Artikels ein Anliegen, die Werte und die speziellen Charakteristika der Budô-Künste hervorzuheben, in denen sie sich vom «herkömmlichen» Sport unterscheiden, ohne hierbei irgendeine Sportart geringschätzen zu wollen.

1. Dôjô vs. Fitneßstudio

Wenn in der heutigen Zeit ein Karate-dô-Schüler zum Training geht, hört man oft den Satz «Ich geh’ ins Studio», doch der Begriff (Fitneß-)»Studio» besitzt einen völlig anderen Sinngehalt als der Begriff «Dôjô». Im Japanischen umschreibt der Begriff «Dôjô» den Ort, wo man «den Weg beschreitet». Präzise gesagt, wo man lernt seine Emotionen und Instinkte zu kontrollieren, wo man die Techniken einer bestimmten KampfKUNST erlernt und man seinen Charakter formt. Dies alles mit Hilfe der Technik der jeweils ausgeübten Kampfkunst, die dabei als «Werkzeug» zum Erreichen dieser Ziele dient.

Wenn eine Person meint, sie ginge ins «Studio», so impliziert das in aller Regel Aktivitäten mit hohem «Freizeitwert» – dies zeigt eine eher hedonistisch orientierte Geisteshaltung: «Es soll [in erster Linie] Spaß machen!». Im bestem Fall orientiert man sich auf die Verbesserung der Gesundheit. Wenn man nun als «Budôka» über das Begriffspaar «Dôjô-Studio» etwas eingängiger nachdenkt, sollte es nicht schwer fallen sich für eine Bezeichnung zu entscheiden. Es ist von maßgebender Bedeutung, WO man sich befindet und wo man IST; denn wie Karl Marx schon richtig bemerkte: Das «Sein bestimmt das Bewußtsein». Jede Kampfkunst (so auch das Karate-dô) ist imstande die positiven Effekte eines «Fitneßtrainings» zu leisten. Im Gegenzug ist das «Fitneßtraining» o.ä. nicht fähig, das «Dô» beizutragen. Das «Dô» ist die innere prägende Geisteshaltung, die den entscheidenden Unterschied zwischen Sport und Kampfkunst markiert.

2. Das Verhalten des Karate-dô-Schülers

Geht ein Karateka ins Dòjô, sollte er sich darüber im Klaren sein, daß er dort nicht nur seinen Körper trainiert, sondern auch seinen Verstand und seinen Geist schult. Diese drei Faktoren sind untrennbar miteinander verbunden und müssen in das Training integriert werden. Dies erfordert vom Karateka, bzw. vom Budôka, höchste Aufmerksamkeit und Konzentration. Die japanischen Meister haben für diese «Dreieinigkeit» einen Begriff – «Shingitai». Shingitai bezieht sich auf die drei Qualitäten, die durch die verschiedenen Dan- und Kyugraduierungen in ihren jeweiligen Abstufungen repräsentiert werden sollen: Shin – Geist und/oder Charakter, Gi – die Technik, Tai die physischen Komponenten. Eine weitere mögliche Interpretation ist: Shin – Himmel, Gi – Erde, Tai – Mensch – Die Fusion der drei Elemente.

Dementsprechend sollten alle Budôkas die folgenden Verhaltensregeln beachten und respektieren:

– Vermeidung von unbegründeten Unterbrechungen.

– Sich nicht vom Training ablenken lassen.

– Vermeiden von überflüssigen Kommentaren und zügiges Wechseln bei Partnerübungen, um so die Harmonie im Training aufrechtzuerhalten.

– Die Trainingspausen abwarten, um eventuelle Fragen mit dem Sensei zu besprechen.

– Stets die Erlaubnis des Sensei für das Verlassen und den Eintritt ins Training einholen.

Der aufmerksame Schüler wird mit wachem Verstand und mit allen seinen fünf Sinnen trainieren. Er wird in jeder Geste, bei jeder Technikausführung voll «anwesend» sein. Man sollte jedes Training so betrachten, als sei es das letzte im Leben, um so wirklich jeden Augenblick voll und ganz auszuschöpfen. Im Partnertraining verhält es sich genauso. Man sollte stets sein bestes geben. Angriff und Verteidigung mit voller Konzentration ausführen, so daß Harmonie und gegenseitiger Fortschritt entstehen kann. Daher sollten folgende Verhaltensweisen unbedingt vermieden werden:

– Trainieren, ohne den festen Willen immer wieder an seine Grenzen zu gehen und/oder sie sogar zu überwinden.

– «Klatsch» während des Trainings und allgemeine Unaufmerksamkeit.

– Herbeiführung von Verletzungen bei sich oder beim Partner durch egozentrische Selbstdarstellung.

– Überheblichkeit und Arroganz, aufgrund sportlicher Erfolge und/oder hoher Graduierungen.

– Kritik des Sensei und/oder seiner Lehrmethode.

– «Lästern»

– «Mobbing»

– Kritik an andere Stile und deren Anhänger.

– Bezweifeln der Fähigkeiten des Sensei, des Sempai oder anderer Personen.

– Vertrauensmißbrauch des Sensei oder anderer Personen zum eigenen Vorteil.

Es ist also erstrebenswert, sich 100% in den Unterricht einzubringen, als ob das eigene Leben davon abhinge. Dennoch sollte dies stets in Verbindung mit der erforderlichen physischen und emotionalen Selbstkontrolle geschehen.

Ein weiterer Aspekt (nach Meister Gichin Funakoshi der wichtigste): Das Karate-dô kann und sollte den ganzen Tag über trainiert werden. Dies wird möglich, wenn man zu jedem Zeitpunkt sich über sein aktuelles Tun vollkommen bewußt ist; z.B. kontinuierliche Schulung unserer Atmung, unser Verhalten gegenüber den Mitmenschen, aufmerksame Wahrnehmung unserer Umgebung etc.

3. «Reigisaho» – die «Budô-Etikette»

Manchmal wird das Reigisaho (Verhaltensregeln), aufgrund falsch verstandener Freundschaft, übersteigertes Vertrauen oder schlicht aus Unwissenheit, falsch verstanden und angewandt. Die Beispiele hierfür sind so zahlreich wie unterschiedlich: Unpünktliches Erscheinen, mangelnde Konzentration und Seriosität beim Training, Disziplinlosigkeit etc. Diese Verhaltensweisen führen im Endeffekt zu mangelndem Respekt gegenüber dem Sensei, den Trainingspartnern und schlußendlich auch gegen sich selbst. Über die bloße Vernachlässigung hinaus, werden die Werte des Budô mit diesem Verhalten auch (teilweise bis zur Unkenntlichkeit) verfälscht. Der Schüler sollte daher nicht glauben, nur weil der Sensei nicht ausdrücklich seine Aufmerksamkeit fordert, daß er den Schüler nicht aus den Augenwinkeln beobachtet und sein inkorrektes Verhalten wahrnimmt. Daher tragen auch die Sempais (fortgeschrittene Schüler) eine nicht unerhebliche Verantwortung gegenüber den Kohai (Anfänger), indem sie sie in die Normen einführen und korrigieren. Die Anfänger sollen Schritt für Schritt die «Budô-Etikette» richtig verinnerlichen. Auch muß den Anfängern deutlich gemacht werden, daß die «Veteranen» einige Vergünstigungen genießen, die sie (noch) nicht für sich in Anspruch nehmen können («quot licet jovi non licet bovi» – Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Esel noch lange nicht erlaubt).

Man richtet sich an den Sensei stets mit einer höflichen Verbeugung (Rei), die vom Sensei erwidert wird. Wenn er danach fragt, ob jeder seine Erklärungen verstanden hat (und dies der Fall ist) entgegnet man ihm unisono mit dem Ausdruck «OZZ». Dieser Begriff ist eine japanische Redewendung. Sie wird gebraucht, um Zustimmung und/oder Anerkennung auszudrücken.

Weiterer wichtiger Bestandteil des Reigisaho ist der Gruß (Rei), der zu bestimmten Gelegenheiten ausgeführt wird.

Kommt der Schüler pünktlich zum Unterricht, so hat er sich am Eingang des Dôjô zum «Kamiza» (eine Stelle innerhalb des Dôjô, die mit Fotos der Stilgründer und/oder mit den Insignien der jeweiligen Kampfkunst geschmückt ist) hin zu verbeugen, bevor er den Raum betritt. Dieser Gruß ist eine Ehrenbekundung gegenüber den Stilgründern und gleichzeitig ein Zeichen der Demut seitens des Schülers. Hat der Unterricht schon begonnen, muß sich der Schüler stehend oder im «Seiza» (je nach Brauch) so platzieren, daß er vom Sensei gesehen wird. Er hat, die Erlaubnis desselben abzuwarten und den Gruß zum Kamiza und zum Sensei auszuführen. Bis dahin hält sich der Schüler dort auf, wo er am wenigsten den Trainingsablauf stört und wärmt sich eventuell leise auf.

Ein weiterer Bestandteil der Budô-Etikette ist ihre Hierarchie «Sensei-Sempai-Kohai». Sempai bedeutet soviel wie «Älterer Karate-dô-Bruder. Seine Aufgabe ist es, den Sensei während des Unterrichts zu unterstützen und die Neulinge in das Training einzuführen. «Kohai» bezeichnet die Anfänger bzw. die Schüler mit der niedrigsten Graduierung. Die Sempais sind gemäß ihres Ranges und/oder ihrer Anwesenheit den Kohais übergeordnet. Es kann also auch der Fall auftreten, daß ein Sempai, aus welchen Gründen auch immer, sich nicht weiter graduiert. Wenn dieser Sempai weiterhin trainiert, steht er in der Hierarchie immer noch höher, als derjenige, der eine höhere Graduierung, aber nicht über dieselbe Erfahrung verfügt. Trotzdem ist dies ein delikates Thema. Sollten hier Zweifel auftauchen, sollte man die Meinung des Sensei konsultieren, um im gegebenen Fall Klarheit zu schaffen.

Die Gruß-Etikette:

Zu Beginn und am Ende des Unterrichts positioniert sich der Sensei mit dem Rücken zum Kamiza vor seinen Schülern. Zur linken Hand des Sensei befindet sich der ranghöchste Sempai. Von ihm beginnend läuft die «Schülerkette» (vom Sensei aus gesehen) nach rechts weiter, wobei jeweils der Schüler mit der nächst niedrigeren Graduierung folgt. Der ranghöchste Sempai leitet das Begrüßungszeremoniell (Verbeugung zum Kamiza etc.). Bei Abwesenheit des ranghöchsten Sempai übernimmt der jeweils niedrigere in der Hierarchie seine Rolle.

Gegenüber dem Kamiza befindet sich der Shimoza. Dort versammeln sich die Schüler zum Gruß zu Beginn und zum Schluß jeder Unterrichtsstunde. Links vom Kamiza befindet sich der Shimoseki, der Platz für die Schüler mit der niedrigsten Graduierung. Rechts vom Kamiza befindet sich der Joseki, der Platz, der für die höher graduierten Schüler reserviert ist. Die Schüler stellen sich also zum Gruß, bezüglich der Graduierung, vom Joseki zum Shimoseki.

Ausführung des Grußes (Rei):

Der Gruß sollte ehrlich gemeint und sein und respektvoll ausgeführt werden. Das bedeutet aber nicht, daß man während des Grußes seine Aufmerksamkeit und Wachsamkeit vernachlässigt; denn das oberste Gebot eines Budôka ist es, nie seine Wachsamkeit zu vernachlässigen. Man sollte es sich auch zur Gewohnheit machen, wenn man eine Partnerübung beendet hat, daß man sich beim Partner nach dem Gruß auch verbal bedankt.

Ein weiterer erwähnenswerter Aspekt, der im täglichen Training auftreten kann, ist die Führung des Unterrichts durch einen Sempai, wenn der Sensei aus irgendwelchen Gründen den Unterricht nicht persönlich abhalten kann. In diesem Fall verhält sich der ranghöchste Sempai genauso wie jeder andere Schüler auch, soll heißen, er nimmt am Training genauso teil wie jeder.

4. Warum werden japanische Termini im Karate-dô verwendet?

Welcher Karateka hat sich nicht schon einmal diese Frage gestellt, wo wir doch schließlich in Europa, bzw. in der «westlichen Welt» leben. Das liegt meiner Meinung nach an einer ganzen Reihe von Beweggründen. Zum einen werden die japanischen Termini beibehalten, um die Tradition und die Struktur aufrecht zu erhalten, die die Gründungsmeister entwickelt haben. Einige Lehrer benutzen ihr spezielles «Vokabular» jedoch dazu, einen gewissen Mystizismus zu erschaffen, womit dann die eigene Überlegenheit unterstrichen werden soll. Dies geschieht auch in anderen Bereichen, wie z.B. in einigen Berufsfeldern, wo durch eine eigene Sprache Außenstehenden der Zugang erschwert und Informationen geheim gehalten werden. Doch der wohl weitaus wichtigste Grund ist meiner Meinung nach der, daß durch die Beibehaltung und den allgemeinen Gebrauch der japanischen Bezeichnungen, alle Karateka sich untereinander verständigen können, genau wie Mediziner sich weltweit mit ihrer lateinischen Terminologie verständigen können.

Doch Vorsicht! Wenn wir einem Japaner der kein Karate trainiert, fragen würden, was denn die Begriffe «Bassai-dai», «Kime» oder «Bunkai» wörtlich bedeuten, dann würden wir etwas ganz anderes zu hören bekommen!

Die einheitliche Terminologie im Karate-dô ermöglicht es in den Kampfkünsten allgemein, daß Karatekas verschiedener Nationalitäten harmonisch miteinander trainieren können. Genauso wie es einem Sensei damit ermöglicht wird, mit Hilfe der japanischen Ausdrücke, eine gemischte Gruppe zu unterrichten. So bilden die japanischen Begriffe eine eigenständige und verständliche Fachsprache. Eine begrenzte aber ausreichende Kommunikation wird so möglich.

5. Der «Grundwortschatz» im Karate-dô

Begriffe, die in den verschiedenen Begrüßungszeremonien/-ritualen gebraucht werden:

Mokuso: Konzentration, Meditation

Mokuso Yame: Beendigung der Meditation bzw. Konzentrationsphase

Ozz: Phonetischer Ausdruck, der zu zwei Charakteren benutzt wird. Der erste – «Ozu» – bedeutet wörtlich «Stoßen» oder «kontrollieren». Der zweite – «Shinobu» – bedeutet wörtlich «Geduld», «(er)leiden».

Otagai Ni Rei: Gruß unter Schülern.

Ritsu Rei: Gruß im Stand

Sensei Ni Rei: Gruß des Meisters

Sempai Ni Rei: Gruß zum/zu den Sempai/s

Somen Ni Rei: Gruß zum Kamiza

Tate: Aufstehen

Zarei: Gruß aus dem Seiza (knieende Position)

Anmerkung des Autors:

Was ich hier niedergeschrieben habe, soll nur zur Er- bzw. Aufklärung einiger Grundaspekte innerhalb des Karate-dô bzw. des Budô im allgemeinen dienen. Es ist nicht meine Absicht, hiermit ein päpstliches Dogma aufzustellen, wenn ich auch die Hoffnung hege, daß sich Anfänger anhand dieses bescheidenen Artikels besser orientieren können, und daß sich die Erfahrenen wieder an eventuell vergessenes zurückerinnern.

Schließlich hoffe ich, daß nach dieser Lektüre der/die eine oder andere beginnt etwas eindringlicher über sein Training nachzudenken, denn letztendlich ist es das Reflektieren über diese «inneren» Werte, die es uns ermöglichen die verschiedenen Budô-Künste wirklich zu verstehen.

Die gebräuchlichsten

Begriffe im Karate-dô

Bunkai: Anwendung der verschiedenen Kata-Techniken

Hjime. Anfangen, Beginn

Kamae: Kampfstellung

Kata: Schematischer Ablauf verschiedener Angriffs- und Verteidigungstechniken

Kihon: Der technische «Grundwortschatz» eines best. Stils

Kihon-Kumite: Nach einem best. technischen Schema ablaufender Kampf.

Kumite: Zusammentreffen, Kampf

Mawate: Wendung, Richtungsänderung

Naore: Zur Anfangsposition zurückkehren bzw. Pause

Yame: Stop

Yoi: Fertig

Zanshin: Wachsamkeit. Zustand höchster Aufmerksamkeit, bis die Aktion und/oder die Gefahr 100% vorbei ist.