Taiji Kase – auf der Spur eines Meisters.
Sensei Kase (9.Dan) wurde am 09. Februar 1929 geboren und zählt heute zu den wenigen Meistern, die mit über 70 Jahren noch voll aktiv sind. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und widmet einen Großteil seines Lebens der Lehre des Karate-Do. Am 31. Mai 1999 erlitt er einen Herzinfarkt und musste mit Elektroschock reanimiert werden. Das hielt ihn aber nicht davon ab, 20 Tage nachdem er sich von diesem Schock erholt hatte, sich wieder voll und ganz dem Karate zu widmen. Damit eröffnet er zahllosen Karatekas aus aller Welt die Möglichkeit an dieser wunderbaren und mitreißenden Kampfkunst teilzuhaben.
Taiji Kase trainierte schon mit sechs Jahren Judo und erhielt in dieser Kampfkunst 1944 den 2. Dan. Im selben Jahr begann er mit dem Karate-Training. Er stieß rein zufällig auf das Buch „Karate-Do Kyohan“ von Sensei Gichin Funakoshi (1868-1957), welches ihn sehr beeindruckte, denn er kannte Kendo, Judo und Aikido, doch vom Karate-Do hatte er bis dahin noch nie etwas gehört. Er lernte Gichin Funakoshi kennen, der ihn nach reiflicher Prüfung als seinen Schüler im Shotokan-Dojo aufnahm. Taiji Kase war damals 15 Jahre alt. Man sagt, dass damals jeder, der ein Katana, oder eine Pistole, oder aber Karate trainierte, dies der Polizei mitteilen musste. Karate wurde also im Gegensatz zu den anderen Kampfkünsten, als eine gefährliche Waffe betrachtet.
In jenen Jahren trainierte Sensei Kase Judo und Karate. Er stand im Judo kurz vor der Prüfung zum 3. Dan, als er das Judo zugunsten des Karate aufgab. Er erzählt uns mit einem Lächeln, dass in den Randoris (Freikampf im Judo) bei ihm plötzlich Karate-Techniken „durchbrachen“ und er seinen Gegnern keine Möglichkeit gab, sich effektiv verteidigen zu können. Er trainierte auch ein wenig Aikido und lernte sogar Morihei Ueshiba und Noriaki Inoue, der Aikido-lehrer von Shigeru Egami, kennen. Beide waren, nach seinen Ausführungen, Meister mit unglaublichen technischen Fähigkeiten. Doch Sensei Kase erhielt nicht nur von Gichin Kase Unterricht, sondern auch von anderen wichtigen Persönlichkeiten, wie sie im Verlauf des Interviews lesen werden.
Ende März 1945, mit nur 16 Jahren, meldete er sich zum Militär, um genau zu sein, zu den Kamikaze-Fliegern. Der Krieg endete jedoch im August desselben Jahres und so dürfen wir uns glücklich schätzen, ihn unter uns zu wissen. Er pflegt immer zu sagen, dass er ja im Krieg hätte sterben können, er aber lebt und daher keinen Grund habe je traurig zu sein. Und in der Tat sieht man ihn immer mit einem Anflug eines Lächelns im Gesicht und spürt eine ganz besondere innere Ausstrahlung, die von ihm ausgeht.
Im März 1951 schließt er sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Senshu Universität ab. Er erzählt uns, dass er oft keine Zeit hatte zu lernen, da er sich immer schon stark auf sein Training konzentrierte. Doch er löste das Dilemma, indem er einfach als Karate-Trainer der Universität unterschrieb, was ihm beim Bestehen der Prüfungen mit Sicherheit nicht geschadet hat.
Als der Krieg beendet war, lag der Shotokan-Dojo in Schutt und Asche. Yoshitaka Funakoshi (1906-1945) war gestorben und die Schüler, die den Krieg überlebt hatten, waren über ganz Japan verstreut. Meister Kase fand keinen Dojo, in dem er hätte trainieren können. Er nahm daher wieder das Judo-Training auf, bis Gichin Funakoshi die Shotokan-Gruppe wieder zusammen führte.
1946 erhielt er den 1. Dan (Shodan) und 1949 den 3. Dan (Sandan). Bei dieser Prüfung zum 3. Dan erhielten auch Ctakagi und Shimamura aus den Universitäten Chuo und Takushoku den 3. Dan im Karate-Do. Meister Shimamura war Sempai des bekannten Meisters Nishiyama, welcher den Sandan ungefähr ein Jahr nach Taiji Kase, Tagaki und Shimamura erhielt.
Meister Kase schloss sich der JKA (Japan Karate Association) an, um sich so professionell der Weiterverbreitung des Karate widmen zu können. Auch wenn er Chief-Instructor der JKA in Europa war, hielt er immer den Kontakt zu den Meistern der NKS (nihon Karate-Do Shotokai) aufrecht. Das auch, als sich diese beiden Gruppen nach dem Tod von Gichin Funakoshi endgültig voneinander trennten. Es ist aber durchaus verständlich, dass Meister Kase den Kontakt nicht abbrechen ließ, denn einer seiner Hauptausbilder war Genshin Hironishi (1913-1999), Chief-Instructor des Shotokan-Dojo und bis zu seinem Tod Präsident des Shotokai in Japan. Er pflegt darüber hinaus auch eine hervorragende Freundschaft zu Jotaru Takagi, dem derzeitigen Präsidenten der NKS. Beide stammen aus der selben Generation und sind alte Trainingspartner. Ein weiterer Ausbilder, mit dem er allerdings nur sporadischen Kontakt bei seinen Besuchen in Japan hielt, war Okuyama Tadao, der auch im Interview erwähnt wird. Den Menschen, die sagen, er hätte die Standards der JKA nicht eingehalten, hält er entgegen, dass sein Karate schlichtes Shotokan Ryu Kase Ha ist, also Shotokan mit dem persönlichen Stempel von Meister Kase.
In Japan bestand sine Aufgabe darin die JKA-Ausbilder im Kumite fit zu machen. Darunter befanden sich Enoeda, Ochi, Shirai und viele andere mehr. Eine eher unbekannte, persönliche Facette ist, dass er damit beauftragt war, die Herausforderungskämpfe, die an die JKA herangetragen wurden, anzunehmen und auszukämpfen. Nach dem Krieg stellte er sich zahlreichen Kämpfen, aus denen er in der Mehrzahl siegreich hervor ging und wertvolle Erfahrungen im realen Kampf sammeln konnte. Er sagt heute, dass das nicht der wahre Geist des Budo ist, damals aber eben auch andere Zeiten waren …
1964 verlässt er Japan, um in folgenden Ländern und Kontinenten zu unterrichten: 1964 war er drei Monate in Südafrika. 1965 unterrichtete er zusammen mit den Meistern Kanazawa, Enoeda und Shirai. Im selben Jahr hielt er auch Seminare in den USA und in Deutschland ab und von Oktober 1965 bis März 1966 befand er sich in Holland und Belgien. Von März bis August 1967 befand er sich in Mailand (Italien), um dort Meister Shirai behilflich zu sein sich nieder zu lassen. 1967 kommt er nach Frankreich und lässt sich schließlich in Paris nieder. In den Anfangszeiten in Paris musste er ein ums andere Mal sein Können unter Beweis stellen. Er stellte sich den damaligen französischen Karate-Meistern zum Kampf. Schritt für Schritt ließ er spüren, dass sein Karate den anderen Karate-Schulen haushoch überlegen war und sein Karate nichts mit dem bisher bekannten Stilen zu tun hatte. Henry Plee, französischer Karate-Pionier, sah Taiji Kase einmal in Aktion und von da an respektierte er ihn: „Er geht sofort an´s Eingemachte. Die Technik ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Was für ihn zählt ist das Resultat“.
Ein weiteres wichtiges Datum ist das Jahr 1986 – das Jahr in dem er sich dazu entschließt, seinen Dojo in Paris zu schließen, um seine Kunst auf der ganzen Welt bekannt zu machen – was er noch bis heute tut. Er selbst unterscheidet bezüglich der Entwicklung des Karate bis heute drei wesentliche Etappen: die Okinawa-Etappe, die japanische Etappe und die Yoshitaka-Etappe. Und wenn er es auch nie sagen würde, geben seine Schüler und Anhänger den drei Etappen eine weiter hinzu – die Sensei-Taiji-Kase-Etappe …
In den 80er Jahren veröffentlichte er zwei Bücher, welche 18 höhere und hohe Katas und die fünf Heinan mit den dazugehörigen Anwendungen beinhalten. Diese Bücher erschienen bis heute schon in zahlreichen Neuauflagen.
1989 gründet er zusammen mit Hiroshi Shirai die WKSA (World Karate Shotokan Academy), der er als Präsident vorsitzt. Dieser Verband widmet sich der Ausbildung der Schwarzgurtträger und aller professionellen Shotokan-Ausbilder. Auf diese Weise wird garantiert, das auch zukünftige Ausbilder-Generationen das Karate-Do so erlernen, wie er es heute unterrichtet.
Sensei Kase beherrscht zwar das gesamte Technik-Repertoire bis ins kleinste Detail, doch sind es immer noch seine Beintechniken, die besonders hervorstechen, wie zum Beispiel Ushiro Geri und Kaiten Geri –Techniken, die er kreierte, nicht zu reden von den zahlreichen Handtechniken und Kamaes, die ebenfalls auf sein Konto gehen. Vor allen Dingen aber, war es seine „umwerfende“ Effizienz, mit der er seine Kämpfe bestritt, die alle in ihren Bann zog, und mit der er die subtilsten Aspekte des Budo und des Karate vermitteln konnte.
Nach dem, was ich hier zusammen getragen habe, könnte man vielleicht meinen, dass Meister Kase „nur“ ein Krieger, ein Samurai ist, doch diejenigen, die wie wir das enorme Glück hatten, ihn persönlich kennen zu lernen, wissen, dass Meister Kase mehr als ein Samurai ist – er ist ein sehr bescheidener und freundlicher Mensch, ein Musterbeispiel des perfekten Gleichgewichts zwischen Körper und Geist. Seine Zeit teilt er sich mit seiner Familie, seinem täglichen Training (in einem Zimmer seines Hauses) und der Lektüre antiker Bücher über das Budo und Philosophie.